Valerie & ich

TEXTBEITRAG FÜR DAS PROGRAMMHEFT »BLAUPAUSE«, Bühnen der Stadt Köln, 2004

Glauben Sie mir, es ist alles andere als einfach, mit jemandem befreundet zu sein, der so berühmt ist wie Valerie. Ich erhalte zwar jede Menge Einladungen zu allen möglichen Partys, allerdings versäumt keiner der Gastgeber, mich beiläufig darauf hinzuweisen, dass ich »ruhig noch jemanden mitbringen« könne, was im Klartext bedeutet, ich solle lieber gleich zuhause bleiben, wenn ich nicht in Begleitung meiner berühmten Freundin auftauche. Aber Valerie geht nicht gerne in Gesellschaft. »Sobald ich irgendwo auftauche, verlagert sich automatisch das Zentrum«, beklagt sie sich, »und die Party findet nur noch dort statt, wo ich bin, das ist so langweilig!«

In unzähligen Interviews hat Valerie darauf hingewiesen, dass das Prominentenleben eine Sackgasse ist, wobei sie betont, dass sie glücklicherweise einige Freunde hat, die nicht im Rampenlicht stehen. Und zu denen gehöre ich. Selbst wenn sie in London oder New York arbeitet, ruft sie mich regelmäßig an, und wenn ich ihr irgendwann sage: »Du, Valerie, ich muss jetzt leider Schluss machen, weil ich mit einer Szene nicht weiterkomme«, antwortet sie schnell: »Pass auf, wenn ich die Nachmittagsmaschine nehme, bin ich morgen früh bei dir, dann liest du mir den Text vor, und vielleicht finden wir gemeinsam eine Lösung.« Meistens ist es mir unmöglich, sie davon abzuhalten, denn hat sich Valerie einmal etwas in den Kopf gesetzt, so setzt sie es auch durch.

Einen Wunsch hatte Valerie allerdings nie: nämlich berühmt zu werden. Sie wurde es einfach. Vermutlich hängt ihr überwältigender Erfolg eben gerade damit zusammen, wie wenig Bedeutung sie ihrer Karriere beimaß. Schon zu Beginn ihrer Laufbahn hatte sie zuweilen weltberühmte Fotografen am Strand von Miami oder Malibu warten lassen, um nicht eine Theaterpremiere in Darmstadt zu verpassen, wo ich eine Zeitlang als Schauspieler engagiert war. Meinen Entschluss, diesen Beruf aufzugeben, hat niemand bedauert, weder meine Kollegen, noch das Darmstädter Publikum und am allerwenigsten ich. Einzig Valerie konnte sich lange Zeit nicht an die Vorstellung gewöhnen, mich nie mehr auf einer Bühne erleben zu dürfen. Eine Zeitlang spielte sie sogar mit dem Gedanken, sich von ihrem in der Zwischenzeit enorm angewachsenen Vermögen ein kleines Theater zu kaufen, in dem ich gelegentlich Privatvorstellungen für sie geben sollte.

Als ich mein erstes Stück schrieb, das sich mit den verschiedenen Rollen der Frau im deutschen Faschismus beschäftigt, ein Text, der zuweilen noch von kleinen Theatern in Österreich aufgeführt wird, hat Valerie mich bedrängt, die Titelrolle übernehmen zu dürfen. Durch Auftritte in zwei internationalen Filmprojekten hatte sie in der Zwischenzeit bewiesen, dass sie über ein nicht unbeträchtliches schauspielerisches Talent verfügte. Und sicherlich hat sie recht, wenn sie behauptet, dass ihre Darstellung als »Fräulein Braun« diesem Text die längst verdiente Aufmerksamkeit sichern würde. Und bis heute hat sie meine ablehnende Haltung, zur Durchsetzung dieses Stückes auf die Mitwirkung einer prominenten Freundin zu bauen, nicht nachvollziehen können.

Vorwürfe von Valeries Seite hagelte es geradezu, als ich mein zweites Stück in einem Berliner Theater selbst inszenierte und dabei erneut auf ihre Mitwirkung verzichtete. Obwohl sie in Mailand mit der Präsentation ihrer eigenen Kosmetiklinie alle Hände voll zu tun hatte, fand sie immer einen Grund, wie zufällig auf den Proben zu erscheinen. Vermutlich können Sie sich vorstellen, was das Erscheinen eines Supermodels in einem Theaterbetrieb auslöst. Valerie verstand es nur zu gut, die durch sie entstandene Aufregung zu nutzen, um zwischen den Schauspielern so viel Zwietracht zu säen, dass meine Aufgabe als Regisseur sich darauf beschränkte, die Darsteller davon abzuhalten, sich gegenseitig mit den auf der Bühne herumstehenden Notenständern zu erschlagen. Selbst noch Jahre nach der letzten Vorstellung sind alle an dieser Produktion beteiligten Personen nicht in der Lage, höflich miteinander umzugehen. »Mach mich bloß nicht für diese furchtbaren Kräche auf deinen Proben verantwortlich«, verteidigte sich Valerie, »alle Schauspieler, die irgendwann einmal als mittelmäßige Musiker in den ›Beleidigten‹ auftreten mussten, haben sich während der Arbeit miteinander zerstritten, schon mal darüber nachgedacht, ob das nicht irgendwie mit deinem Text zu tun hat?«

Um den Kontakt mit ihr auf ein Minimum zu reduzieren, redete ich mich über den Zeitraum von drei Jahren damit heraus, meinem neuen Stück »Die Rechnung des Milchmädchens« den letzten Feinschliff erteilen zu müssen. Als der Text endlich seine Uraufführung erlebte, war es ein solcher Flop, dass ich einen kleinen Zusammenbruch erlitt. Schon bei meiner Einweisung in die Klinik verschaffte mir mein panisch geäußerter Wunsch, keinerlei Besuche von dem bekannten Model Valerie Posch erhalten zu müssen, augenblicklich die Unterbringung in einem kleinen Einzelzimmer. Aber schon nach wenigen Tagen bemerkte ich, dass Valerie völlig freien Zugang zur geschlossene Abteilung hatte, weil sie an das Pflegepersonal kostenlose Proben ihres erfolgreichen Parfums verteilte. Sie überredete die behandelnden Ärzte dazu, mir stapelweise Papier in mein Zimmer bringen zu lassen mit der Aufforderung, jeden meiner Gedanken niederzuschreiben. Valeries Hintergedanke war vermutlich, ich würde durch den Einfluss von Psychopharmaka meine tatsächlichen Gefühle für sie zum Ausdruck bringen. Ich vermied es jedoch, auch nur einen einzigen Satz über Valerie zu Papier zu bringen und füllte stattdessen tausende von Blättern, auf denen sich unzüchtige Pinguine tummelten, ein blinder Maulwurf Puccini-Arien schmetterte, und immer wieder ein Huhn herum spionierte, das sich als Vertreter für Staubsauger ausgab. Diese Aufzeichnungen legte Valerie meinem ratlosen Verlag vor. »Wenn man alle Passagen mit eindeutig sexuellem Inhalt streicht«, so argumentierte sie, »bleibt eine Handvoll komischer Situationen übrig, aus denen sich leicht ein oder sogar mehrere Stücke für ganz kleine Kinder herstellen lassen könnte.« Obwohl sich mein Verlag viel auf ein ausgetüfteltes künstlerisches Mitbestimmungs-Modell zugute hält, sträubten sich die Lektoren lange Zeit, Ratschläge eines Supermodels anzunehmen.

Sicherlich erinnern Sie sich an die Aufsehen erregende Plakatserie, die im Winter vor zwei Jahren in allen Städten hing. Darauf war Valerie zu erkennen, die mit einem umwerfenden Lächeln für die Unterwäsche eines schwedischen Herstellers warb. Dieses entwaffnende Lachen soll Valerie nach eigener Aussage nur deshalb so natürlich gelungen sein, weil sie während des Fototermins an Schlüsselsituationen in »Pinguine können keinen Käsekuchen backen« denken musste.

»Für dieses Stück übernehme ich keine Verantwortung«, warf ich ihr vor, »außerdem möchte ich gar nicht erst wissen, mit welchen Mitteln du die Lektoren des Verlags dazu gebracht hast, diese Texte zu veröffentlichen.« »Beschwere dich bloß nicht«, verteidigte sich Valerie, »diese Kinderstücke unterscheiden sich nur unwesentlich von deinen anderen Stücken, ihnen liegt eine verwirrende Struktur zugrunde, die Handlung tritt ständig auf der Stelle und den Figuren fehlt jede Entwicklung, und außerdem« fügte sie triumphierend hinzu, »hat dieses Kinderstück gerade einen Preis erhalten!« »Na und? Ich habe auch schon Preise für Stücke erhalten, die ich auch wirklich selbst geschrieben habe.« »Ach, Preise sind völlig unwichtig, gib nicht so an, es gibt sowieso nur eine einzige Sache, für die es sich wirklich zu leben lohnt«, und dann kam Valerie unweigerlich auf das Thema Kinder zu sprechen. Obwohl sie ganz genau wusste, dass ich auf diesem Ohr taub bin, fing sie regelmäßig davon an, nicht ohne hinzuzufügen, dass ich sie deshalb noch lange nicht heiraten müsse.

Ein knappes Jahr war es mir gelungen, völlig unbehelligt von Valerie ein neues Leben aufzubauen, bis mir in einem Schnellrestaurant in Mexiko ein Journalist, dem ich gerade gefüllte Tacos servierte, eine Zeitung unter die Nase hielt. Über einem alten Foto von mir und Valerie prangte die Schlagzeile: »Valerie heiratet Nobody«. Um diesen Gerüchten ein Ende zu bereiten, blieb mir nichts anderes übrig, als nach Deutschland zurückzukehren, wo mich Valerie schon am Flughafen vor einer Horde von Presseleuten und Fotografen in die Arme schloss. In einer eilig anberaumten Pressekonferenz erklärte ich, dass diese Heiratsgeschichte völlig aus der Luft gegriffen wäre, allerdings kündigte ich hinterlistig an, in Kürze einen Theatertext vorzulegen, der sich mit der Karriere eines deutschen Models beschäftigt. Valeries Gesicht, dessen vornehme Blässe sie so berühmt gemacht hatte, wurde augenblicklich rot vor Freude und Stolz: »Ich weiß gar nicht, was es über mich zu erzählen gibt«, lächelte sie geschmeichelt, »ich werde einfach nur fotografiert, und das ist langweilig, alles was ich über mich zu erzählen habe, ist langweilig«. Aber noch bevor ich eine Zeile geschrieben hatte, sicherte sich Valerie, die in der Zwischenzeit eine eigene Produktionsfirma gegründet hatte, die Filmrechte an dem Stoff. Obwohl ich es ihr immer noch übel nehme, was sie mit den gezielt lancierten Heiratsgerüchten angerichtet hat, krampft sich noch heute mein Herz vor Mitleid zusammen, wenn ich an ihr erstauntes Gesicht denke, nachdem sie die Lektüre des Textes beendet hatte, und leise flüsterte: »Aber ich komme in deinem Stück ja überhaupt nicht vor.«

Ganz recht. Außerdem habe ich ihren Namen geändert, ihre Charakterzüge verfälscht und ihrer Karriere eine ganz andere Richtung gegeben. Obwohl Valerie in mehreren Filmen mitgespielt hat und eine eigene Fernsehsendung moderiert, wäre sie niemals so dumm, für ihre Karriere mit dem Leben zu bezahlen. Die meisten Behauptungen im Text entbehren jeglicher Grundlage. Zum Beispiel kann ich Ihnen versichern, dass Valeries Brüste echt sind, obwohl ich ihrem Drängen, mich persönlich davon zu überzeugen, niemals nachgekommen bin. Valerie hatte schon bei der ersten Lektüre des Textes erkannt, dass das Fotomodell im Stück völlig unwichtig ist. Aber aus eigener Erfahrung kann sie bestätigen, wie sehr sich völlig vernünftige Menschen in der Nähe von Prominenten verändern, ja wie schon die bloße Ankündigung von Valeries möglichem Erscheinen ganz normale Personen in einen solchen Ausnahmezustand versetzt, dass sie bereit sind, ihre Eltern zu verleugnen, Ehepartner im Stich zu lassen und alle menschliche Bindung über Bord zu werfen. Vermutlich werde ich Valerie nicht davon abhalten können, sich eine Aufführung des Stückes anzusehen. In irgendeiner Vorstellung wird sie im Zuschauerraum sitzen, aber freuen Sie sich nicht zu früh. Sie werden es nicht einmal bemerken. Denn Valerie hat schon oft bewiesen, dass sie allein es ist, die darüber bestimmt, ob man in ihr das berühmte Model erkennt oder sie lediglich für eine unauffällige junge Frau hält. Vermutlich werden Sie nicht einmal ahnen, dass neben Ihnen das Supermodel sitzt, von dem sie fast jede Nacht träumen. Ein Mädchen, das täglich Waschkörbe voller Heiratsangebote erhält und verlockende Anträge fremder Potentaten. Eine junge Frau, die für die hohe Selbstmordrate von magersüchtigen Mädchen verantwortlich gemacht wird, denen klar wird, dass sie niemals so aussehen werden wie Valerie, deren Lieblingsgericht übrigens Tiroler Speckwaffeln mit Käse ist. Valerie wird als das glücklichste Mädchen auf der ganzen Welt bezeichnet. »Eigentlich müsste ich jede Sekunde meines Lebens dafür dankbar sein, dass mich so viele Leute auf der ganzen Welt verehren oder überhaupt nur kennen«, sagte sie einmal, »aber das Fehlen der einzigen Sache, die mir wirklich etwas bedeutet, ist mir schmerzhaft bewusst.« Dabei schaute sie mir tief in die Augen. Ich habe sie dann mit einem Blick angesehen, als hätte ich nicht die geringste Ahnung, wovon sie spricht.