Totstellen ist erlaubt!

Ein Interview mit Ulrich Hub für die Fachzeitschrift des Arbeitskreis Jugendliteratur 3/20 zum Thema NICHTS ALS DIE WAHRHEIT!? ZUR FUNKTION DER LÜGE IN DER KINDER- UND JUGENDLITERATUR 

KRISTINA BERND
TOTSTELLEN IST ERLAUBT
!

Ein Verständnis für Komik und Lüge müssen Kinder erst erwerben. In »Füchse lügen nicht« dienen beide Konzepte der Unterhaltung. 

Ausgefuchst ist er, dieser Kerl, der im einsamen Flughafen die dort auf ihren Flieger wartenden Tiere geschickt um den kleinen Finger wickelt, indem er ihre Flunkereien und Geheimnisse durchschaut, nur um sie schließlich zu bestehlen. Ulrich Hub hat die Fabel vom listigen Fuchs, der den Wolf austrickst, ins Hier und Jetzt geholt. Aus dem Wolf wurde ein sympathischerer, dienstbeflissener Wachhund. Außerdem bevölkern weitere tierische Akteure, ausgestattet mit allzu menschlichen Eigenschaften, die Szene. Der Dramatiker und Kinderbuchautor Ulrich Hub, der mit An der Arche um Acht einen modernen Klassiker vorgelegt hat, sperrt sein Ensemble dieses Mal in einen kahlen, lang- weiligen Raum und wartet ab, was passiert. Ganz ohne moralisch erhobenen Zeigefinger, aber mit viel Humor. Und da sich der Autor zurücknimmt, können sich die Kinder bei der Lektüre von Füchse lügen nicht ihre eigenen Gedanken zu Feindschaft und Freundschaft, Lüge und Wahrheit machen. 

FRAGE: Animal Lounge oder Füchse haben kurze Beine ist ein Theaterstück, das Sie unter dem Titel Füchse lügen nicht auch als Buch veröffentlicht haben. Lügt es sich besser auf der Bühne oder auf dem Papier?

ANTWORT: Auf dem Papier! Da kann ich einfach nur den Inhalt aufnehmen und ihn unter Umständen mit anderen Informationen vergleichen. Wenn ich aber jemandem gegenüber stehe, bin ich viel zu abgelenkt. Ich lasse ich mich vom Aussehen täuschen, von einem bestimmten Tonfall – oder ich falle sogar auf Krokodilstränen herein.

FRAGE: Der Titel des Theaterstücks deutet darauf hin, dass der lügende Fuchs nicht weit kommt mit seinen kurzen Beinen, der Buchtitel dagegen spricht ihn von jedem Fehlverhalten frei. Was stimmt denn nun?

ANTWORT: Der Buchtitel »Füchse lügen nicht« ist eine Behauptung, die erst einmal überprüft werden muss. Nach der Lektüre weiß man: schon der Titel war eine Lüge. »Füchse haben kurze Beine« – das ist eine Aussage, die der Wahrheit entspriche, werfen Sie nur einen kurzen Blick auf einen Fuchs. Mit seinen kurzen Beinen kommt er sogar ziemlich weit, aber er dreht plötzlich wieder um. Wie dieses Verhalten zu bewerten ist, überlasse ich lieber den Kindern. 

FRAGE: Am Fuchs zeigt sich, dass es ein gutes Gespür für die anderen braucht, um überhaupt lügen zu können. Und dass Lügen manchmal das Zusammenleben erleichtern können, oder? 

ANTWORT: Man braucht grundsätzlich ein gutes Gespür für andere, wenn man überhaupt miteinaner auskommen will. Das erwarte ich von allen Menschen und Tieren. Von meinen Freunden erwarte ich übrigens, dass sie mir immer die Wahrheit sagen. Daran halten sie sich, auch wenn ich mir schon gelegentlich das Gegenteil gewünscht hätte. 

FRAGE: Es geht in der Geschichte auch um Betrug und Eigennutz, also so genannte schwarze Lügen. Wie wichtig ist es, dass Kinder das komplexe Konzept der Lüge und ihrer unterschiedlichen Ausprägungen früh verstehen? 

ANTWORT: Selbst Erwachsene können ganz offensichtliche Lügen oft nicht erkennen. Woher sollen Kinder das schon wissen? Wenn ich behaupten würde, dass sie auf keine Lügen mehr hereinfallen, sobald sie mein Buch gelesen haben, wäre auch das eine Lüge – aus reinem Eigennutz. Kleine Lügen sind aber in Ordnung, oder? Ich habe nämlich schon als Kind gelogen, und zwar ständig und ganz ungeniert. Im Nachhinein war das für mich ein wichtiger Schritt zur Eigenständigkeit. Lange Zeit dachte ich nämlich, meine Eltern könnten meine Gedanken lesen. Kinder haben das Recht auf kleine Geheimnisse. Aber als ich mit sechs Jahren merkte, dass meine Eltern ebenso Gefühle und Meinungen für sich behalten und vor mir verbergen, war das zuerst ein großer Schock – aber dann auch eine Erleichterung. Man muss eben vorsichtig sein, aber nicht zu sehr. Sonst wird man von ständigem Misstrauen begleitet. Ich vertraue lieber ein bisschen zu oft, als ständig alles zu hinterfragen, das ist mir einfach zu anstrenged. 

FRAGE: Sich selbst in ein besseres Licht stellen oder sich selbst in die Tasche lügen? Was motiviert die Tiere in der Animal Lounge, die ja alle auch ihre Schattenseiten haben?

ANTWORT: Wenn ich jemanden neu kennen lerne, erzähle ich auch nicht gleich von meinen persönlichen Niederlagen sondern berichte lieber von Erfolgen. Damit belüge ich mich selbst und andere, weil ich dann das Gefühl habe, gebraucht zu werden und richtig wichtig zu sein. Aber irgendwann verwechselt man sich selbst, und die Maske wird zum Gesicht. Meine Erfahrung ist, lieber für das gehasst werden, was ich bin, als für etwas geliebt zu werden, das ich nicht bin. Das ist meine persönliche Meinung. Aber ehrlich gesagt, habe ich diesen Satz von Kurz Cobain geklaut. 

FRAGE: Woran können die jungen Leser oder Zuschauer erkennen, ob oder wie ein Tier lügt? Leisten Sie als Autor Hilfestellung?

ANTWORT: Kinder brauchen kaum Hilfestellungen. Sie hören nämlich sehr genau zu. Sobald sich ein Tier in Widersprüche verwickelt, merken sie das sofort. Man muss Kindern nämlich nicht immer alles dreimal sagen, wie manche Erwachsene glauben, sondern Kinder sind ganz besonders aufmerksame Zuhörer. Das musste ich als Autor auch lernen, weil ich die Tendenz haben, mich zu wiederholen. Ich habe als Autor leider die Tendenz, mich zu wiederholen. 

FRAGE: Wer in Ihrer Geschichte unmoralisch handelt, ist nicht leicht zu bestimmen. Diskutieren Sie mit Kindern bei Lesungen darüber? Welche Überlegung dazu hat Sie besonders beeindruckt?

ANTWORT: Nachdem der Fuchs das Vertrauen der Tiere in Rekordzeit gewonnen, sie zum Plündern des Duty Free Shops angeregt und eine tolle Party geschmissen hat, verschwindet er in der Nacht mit den Pässen der Tiere. Hier hat er eine Grenze überschritten, keine Frage, das wird sogar dem Fuchs selbst klar. Deshalb kommt er am nächsten Morgen mit dem Diebesgut zurück und bittet um Nachsicht. Mich überrascht immer wieder, wie unterschiedlich Kinder darüber nachdenken, wie mit dem Fuchs zu verfahren ist. Jungs plädieren in der Regel für eine strenge Bestrafung, manchmal sogar »Pfoten ab!«, während die Mädchen lieber Gnade walten lassen: »Schließlich hat der Fuchs sich entschuldigt, und hat nicht jeder eine zweite Chance verdient?« Es ist immer dasselbe. Wissen Sie, woran das liegt? 

FRAGE: Vielleicht neigen Jungs dazu, unmittelbarer zu reagieren, während Mädchen eher langfristig planen. Dabei versetzen sie sich gleich in die Rolle des Fuchses für den Fall, dass sie – bei einer Gemeinheit – erwischt werden, und wünschen sich dann selbst ein geringeres Strafmaß.«

ANTWORT: (lacht) Ehrlich gesagt finde ich diesen Gedanken so bestechend, dass ich ihn gleich bei der nächsten Gelegenheit als meinen eigenen ausgeben werde. Wenn Sie nichts dagegen haben.

FRAGE: Gern. Können Sie einen Unterschied bei den Rückmeldungen nach Altersstufen ausmachen? Welche Ebenen der Geschichte erfassen die Kinder ohne Probleme, welche bleiben doch eher den älteren Lesern vorbehalten?

ANTWORT: Nach meiner Erfahrung haben eigentlich alle Altersstufen ihren Spaß an der Story. Einige freuen sich schon darüber, dass der dicke Pandabär regelmäßig furzt, und ich lache auch jedes Mal darüber. Kaum ein Kind erkennt, dass es sich bei der klaren Flüssigkeit, die der Fuchs dem Polizeihund zum Trinken anbietet, um reinen Gin handelt. Wenn ich allerdings frage: »wer von euch hat schon einmal Alkohol probiert?«, schießen alle Hände sofort in die Höhe, da machen selbst die Lehrer große Augen. Sobald Eltern jedoch dabei sind, meldet sich kein Kind. Ansonsten habe ich beobachtet, dass Kinder und Erwachsene gleich viel lachen – aber an unterschiedlichen Stellen. Wenn sich die Kinder erkundigen: »Warum hast du gerade gelacht?«, entwickelt sich im besten Fall daraus eine kleine Unterhaltung.  

FRAGE: Herzlichen Dank!

ANTWORT: Gern geschehen. Aber ganz ehrlich, das waren ziemlich schwierige Fragen. Oft wundere ich mich darüber, dass mir immer die gleichen Fragen vorgelegt werden, die ich schon im Schlaf beantworten kann. Hier musste ich wirklich mal nachdenken. Glauben Sie mir, ich sehe mich als Autor nicht als moralische Instanz. Schon beim Schreiben der Geschichte habe ich mit leichtem Unmut beobachtet, dass sich alle meine Tiere pausenlos streiten und in Konkurrenzkämpfe verwickelt sind. Warum können sie nicht friedlich miteinander spielen wie andere Tiere? Erst im letzten Kapitel war ich beruhigt: alle Tiere saßen friedlich miteinander im Kreis und unterhielten sich ruhig miteinander. Aber als ich den wahren Grund dafür erkannte, stellten sich mir alle Nackenhaare aufrecht! Meine Tiere waren nur so solidarisch miteinander, weil sie ein gemeinsam begangenes Verbrechen vertuschen wollten. Sie haben tatsächlich geglaubt, den Fuchs umgebracht zu haben. In Wirklichkeit hatte sich dieser Schwindler nur tot gestellt – um sein eigenes Leben zu retten. Übrigens sind mit dieser Lüge immer alle Kinder einverstanden.