OPEN BOOKS

GESPRÄCH MIT SEBASTIAN RICHTER BEI DER FRANKFURTER BUCHMESSE 2015

ARBEITEN SIE NOCH ALS SCHAUSPIELER?  Schon lange nicht mehr. Schauspieler ist ein wunderbarer Beruf, aber andere können das besser als ich. Auf der Bühne war ich eher der verinnerlichte, intelligent-verspannte Typ. Am peinlichsten waren meine Auftritte im Fernsehen. Sobald eine Filmkamera auf mich gerichtet war, wurde ich so locker und durchlässig wie ein Sack Zement. Nur wenn ich in meinen eigenen Inszenierungen aufgetreten bin, war ich frei. Vermutlich weil ich mich nicht um die Motive meiner Figur gekümmert habe – also den ganzen Kram, den man auf Schauspielschulen lernt – sondern nur um die Handlung.

WIE SIND SIE ZUM SCHREIBEN GEKOMMEN?  Ich wollte unbedingt Regie führen und konnte diesen Wunsch nur durchsetzen, indem ich eigene Stücke geschrieben habe. Dabei hat mir meine Erfahrung als Schauspieler natürlich genutzt.

GIBT ES UNTERSCHIEDE BEIM SCHREIBEN FÜR KINDER UND FÜR ERWACHSENE?  Weniger als man denkt. Natürlich dürfen Sex und Gewalt nicht vorkommen – oder in sehr modifizierter Form. Gewalt gehört auf jeden Fall dazu. Aber bei Kindern sollte  immer eine Utopie dabei sein – aber das erwarte ich übrigens auch bei Texten für Erwachsene. Selbst wenn die Utopie am Ende scheitert wie zum Beispiel bei Schiller. Übrigens hat man beim Schreiben für Kinder viel mehr Freiheiten – da ist offenbar alles erlaubt. Theaterstücke für ein erwachsenes Publikum werden sofort in Kategorien eingeteilt. Das heißt: Wenn man lachen kann, kann es sich nur um ein Boulevard-Stück handeln, sobald auf der Bühne ein Lied gesungen, muss es wohl ein Musical sein. Obwohl es in Deutschland eine beeindruckende Vielfalt von Theaterformen gibt, haben wir nur wenig wirklich gute Komödien. Das hat sogar Tradition.

HABEN WIR HIER ETWA KEINEN HUMOR?  Doch, aber die Unterscheidung zwischen Hochkultur und Unterhaltung gibt es in keinem anderen Land der Welt, diese merkwürdige Neigung, das Ernste höher einzuschätzen als das Vergnügliche. Dabei steckt in jeder Komödie eine Tragödie und umgekehrt. Es muss irgendwie an einen Punkt kommen, wo Witz zu Ernst wird und alles Ernste ein Witz. Der magische Punkt, an dem jede Idee und ihr Gegenteil gleichermaßen wahr ist.

WARUM TRETEN IN IHREN GESCHICHTEN OFT TIERFIGUREN AUF?  Das hat zunächst damit zu tun, dass alle drei Bücher auf Theaterstücken für Kinder basieren. Wenn erwachsene Menschen auf der Bühne Kinder spielen, deprimiert mich das immer unendlich – erwachsene Männer in kurzen Hosen und so weiter. Das ist natürlich nur meine persönliche Ansicht, Kinder haben damit offenbar null Problem. Außerdem ist man bei Tierfiguren in den Besetzungen völlig frei. Die drei Pinguine in »An der Arche um Acht« können in allen Geschlechterkombinationen gespielt werden – und jedes Mal erzählt man eine völlig andere Geschichte. Nicht zuletzt mache ich in den Proben meiner Kinderstücke immer wieder eine lustige Erfahrung: Sobald Tierfiguren zu spielen sind, kommt es nie zu ermüdenden Diskussionen mit den Schauspieler über »ihrer Figur«. Wer zum Beispiel einen Fuchs spielen soll, stellt keine Fragen sondern fängt sofort zu spielen an. .

WAS MÜSSEN SIE BEI DER UMSETZUNG VOM THEATERTEXT ZUR PROSA BEACHTEN?  Ein Theatertext ist nur die Basis für eine Aufführung, an der viele Leute mit ihrer Fantasie mitarbeiten. Jede Inszenierung ist logischerweise anders. Bei der Prosa muss man alles dazuschreiben, was sonst das Bühnenbild leistet, die Schauspieler, die Regie und so weiter. Anfangs dachte ich, ach, das ist leicht. Ich beschreibe einfach die Umgebung und die Figuren, dann kommen noch ein paar innere Gedanken dazu – fertig. Großer Irrtum. Beim ersten Buch war ich wirklich überrascht, wie viele Entscheidungen man treffen muss. Welche Zeitform, welche Perspektive, wie organisiert man mehrere Figuren in einer Szene – ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte.

WIE HABEN SIE DAS PROBLEM GELÖST?  Indem ich viel andere Autoren gelesen habe. In dem Theaterstück »Füchse lügen nicht« sind fast immer sieben Figuren gleichzeitig auf der Bühne. Das ist kein Problem. Selbst wenn der dicke Pandabär die meiste Zeit nur pennt – schließlich ist er die ganze Zeit sichtbar anwesend. Aber im Buch vergiss man schnell diese Figur, wenn nicht auf jeder dritten Seite der Panda irgendwas macht – selbst wenn er nur gähnt oder einen ziehen lässt.

WELCHE AUTOREN HABEN SIE DA ZU RATE GEZOGEN?  Zum Beispiel den Zauberberg von Thomas Mann und die Romane von Dostojewski. Beide Autoren haben mehrere Kapitel geschrieben, in denen über zehn Personen gleichzeitig anwesend sind. Ich habe einfach geguckt, wie machen die denn das? Achten Sie mal bei Gelegenheit darauf, wie selten in Romanen mehr als drei Leute über längere Zeit anwesend sind. Kein Wunder – es ist nämlich verdammt schwer zu organisieren. Viel habe ich übrigens auch bei Astrid Lindgren gelernt. Die Geschichten sind großartig, darüber sind sich alle einige, aber sie ist auch eine verdammt gute Stilistin. Mir ist das aufgefallen, als ich Kindern aus ihren Büchern vorgelesen habe. Man kann nichts überspringen. Jeder Satz macht Sinn und hat seine Funktion.

VIELE IHRER THEATERSTÜCKE GIBT ES AUCH ALS HÖRSPIEL. WIE SETZEN SIE DAS UM? Das ist verhältnismäßig leicht. Man muss einfach zusätzliche Worte finden, um Vorgänge zu beschreiben, die nicht zu sehen sind. Aber nicht jede Geschichte eignet sich für jedes Medium – oder man muss gewaltige Veränderungen vornehmen. Bei dem Theaterstück »An der Arche um Acht« hat es einen ganz einfachen Grund, dass die drei Pinguine als letzte und fast zu spät die Arche betreten und auch wieder verlassen – sonst würden sie nämlich den anderen Tieren begegnen und man hätte ein Theaterstück mit mehr als tausend Rollen. Bei der Umsetzung in Prosa wäre das natürlich gegangen, aber erst einmal war ich zu faul dazu, mir so viele andere Figuren auszudenken, und außerdem gefiel mir der leicht düstere Gedanke, dass die drei Pinguine allein ganz unten im dunklen Bauch der Arche hocken müssen und nichts von dieser spektakulären Reisegruppe mitbekommen. Als ich das Drehbuch für den Film schrieb, wollte ich natürlich diese bequeme Lösung gerne beibehalten, aber die Produzentinnen waren nicht dazu bereit und erklärten kategorisch, ein bunter Animationsfilm über die Arche Noah, in der man vier kleine Tiere in einem dunklen Keller erlebt, wie sie über Gott diskutieren, mache null Sinn. Natürlich hatten sie Recht. Also lernen jetzt die Pinguine im Film alle anderen Tiere kennen – die Hauptelemente der Handlung wurde zwar beibehalten, trotzdem ist es eine komplett andere Geschichte.

WIE KOMMEN SIE EIGENTLICH AUF IDEEN?  Das weiß ich auch nie so genau. Man hat eigentlich immer viele Ideen – aber die meisten taugen bei näherem Hinsehen nichts, jedenfalls nicht für mehr als ein paar Seiten. Oft schlagen mir Personen oder Theater ein Thema vor. Bei der Arche war es zum Beispiel so, dabei hatte ich zuerst abgelehnt, weil ich mit dem Thema Gott nicht so viel zu tun habe. Bei »Füchse lügen nicht« wurde mir vorgeschlagen, eine moderne Version von Reinecke Fuchs zu schreiben. Und jetzt beim »Ein Känguru wie du« habe ich bei einer Lesung in Berlin gemerkt, wie verstört die Kinder waren, als sich am Ende eine Taube und ein Pinguin küssen.

UND WENN SIE NICHT WEITERKOMMEN?  Ich erzähle allen Leuten von der Geschichte, an der ich gerade arbeite, da kommen wir gemeinsam immer weiter. Es gibt natürlich schon verschiedene Tricks – oder sagen wir mal Handwerkszeug. Ich denke mir verschiedene Figuren aus, die sich unter keinen Umständen begegnen dürfen – und lasse sie sich so schnell wie möglich begegnen. Dann passiert schon etwas. Oder ich überlege mir, wovor die Figuren am allermeisten Angst haben, und genau dieser Situation setze ich sie aus. Aber vieles ist auch Zufall oder Glück, und ich weiß hinterher nie, wie ich darauf gekommen bin.

WIE SIEHT IHR ARBEITSALLTAG AUS?  Ärzte fragen ja gerne nach dem Beruf ihrer Patienten, und wenn ich sage, dass ich Autor bin, jubeln sie regelmäßig: »Kein Wunder, dass Sie Rückenbeschwerden haben! Sie sitzen ja den ganzen Tag am Schreibtisch.« Dabei laufe ich rum, drinnen und draußen, räume auf, spiele Klavier und mache Sport, telefonieren in der Gegend herum, was man eben so macht – hinter dem Schreibtisch bin ich allerdings kaum zu finden. Als mein kleiner Neffe einmal mehrere Tage bei mir in Berlin zu Besuch war, sagte er hinterer: »Wenn ich groß bin, will ich genau dasselbe machen, was du machst.« »Und was mache ich denn?«, wollte ich wissen. Da strahlte er mich an: »Nichts!«