NATHANS KINDER

Orientierungslos irrt der junge Kreuzritter Kurt durch das von Kriegswirren geprägte Jerusalem. Aus einem brennenden Haus rettet er ein junges Mädchen – ausgerechnet die Tochter eines Juden. Davon ist der Bischof alles andere als begeistert. Auch Nathan kann sich nicht damit abfinden, dass sich Recha nachts heimlich mit einem Kreuzritter trifft. Als Kurt erfährt, dass Recha gar nicht Nathans leibliche Tochter ist, wendet er sich damit vertrauensvoll an den Bischof, der verrät das Geheimnis dem Sultan – und es kommt fast zu einer Katastrophe.

Uraufführung tjg Dresden 2009

»Der erheiternde Höhepunkt der Inszenierung ist gewiss der schlussendliche ›Kampf der Religionen‹, die Auseinandersetzung um den wahren Glauben, die in eine filmreife Prügelei zwischen dem Bischof, Saladin und Nathan ausartet und für enorme Erheiterung beim vorwiegend jugendlichen Publikum sorgte«
Dresdner Neueste Nachrichten, 2009

Ausgezeichnet mit dem Mülheimer KinderStückePreis 2010
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SO HÖRT DAS STÜCK AUF:

RECHA  Und solange mir keiner die Frage nach dem rechten Glauben beantworten kann, könnt ihr mich nicht von Nathan trennen.
NATHAN  Du gehörst schon längst zu Kurt.

Kurt zieht sein Schwert und packt den Bischof.

KURT  Und wer von Euch mir meinen Nathan anrührt, bekommt es mit mir zu tun! Ich wünschte, ich hätte solch einen Vater gehabt.
NATHAN  Kurt, steck dein Schwert ein –
BISCHOF  Danke, Nathan.
NATHAN  Wir essen gerade.
SULTAN  Genauso aufbrausend war mein guter Bruder Assad. Mir kommt gerade ein Gedanke. Wär’s möglich, dass dein Vater mein lieber Bruder Assad ist? Ich trinke doch einen Schluck – Das ist so aufregend. Mein Bruder reiste oft in dein Heimatland und war dabei bei hübschen Christendamen genauso so willkommen, als er auf hübsche Christendamen erpicht –
KURT  Ehrwürdiger Sultan, dann wäre ich Euer Neffe.
BISCHOF  Sehr unwahrscheinlich.
KURT  Aber nicht unmöglich.
RECHA  Zu schön, um wahr zu sein.
SULTAN  Du bist mit Leib und Seele ihm so ähnlich, dass ich dich fragen könnte, wo du denn die ganze Zeit gesteckt hast. Mein Sohn! Mein Assad! Meines Assads Sohn – Ich muss gleich wieder weinen.
BISCHOF  Darf ich die Hypothese noch ein wenig weiter spinnen? Da Recha ihren Vater auch nicht kennt, besteht durchaus die Möglichkeit, dass auch sie die Tochter dieses ungestümen Assads ist und folglich – deine Schwester.
KURT  Müsst Ihr nicht zu einem Kranken, Hochwürden?
BISCHOF  Gott will, dass ich diese Tafel nicht verlasse. Es kommt nicht alle Tage vor, dass Christ und Jud’ und Muselmann friedlich vereint an einem Tische sitzen. Doch Kranke gibt es schließlich immer.

Gelächter.

KURT  Du lachst nicht mit uns?
NATHAN  Dieser Frieden wird nicht lange dauern.
RECHA  Hab doch ein bisschen Vertrauen, Nathan.

INTERVIEW

WAS HAT SIE VERANLASST, »NATHAN DER WEISE« NEU ZU SCHREIBEN?  Ein leichtfertiges Versprechen, das ich vor ein paar Jahren einem Theater gegeben hatte. »Ich mache rasch eine Bearbeitung von Nathan der Weise«, hatte ich versprochen. Damals wusste ich noch nicht, wie kompliziert die Arbeit werden würde. Das Stück ist so genau gebaut, geradezu komponiert – wenn man nur einen einzigen Baustein herauszieht, bricht gleich das ganze Gebäude zusammen.

WARUM KÖNNTE »NATHAN DER WEISE« AUCH HEUT NOCH FÜR UNSERE GESELLSCHAFT UND JUGENDLICHE INTERESSANT SEIN?  Ist die unterschiedlichen Auffassungen von Gott und Religion nicht immer noch Auslöser von Krieg und Terror?

WELCHE GEDANKEN UND ÜBERLEGUNGEN MÖCHTEN SIE DEN ZUSCHAUERN ÜBER DAS EIGENTLICHE DRAMATISCHE GESCHEHEN HINAUS MITGEBEN?  Über das eigentliche dramatische Geschehen hinaus möchte ich nichts mitgeben. Aber für den Zeitraum, in dem die Zuschauer im Theater sitzen, möchte ich sie gut unterhalten – und zwar indem ihr Denken vielleicht eine andere Richtung nimmt.

WAS WOLLTEN SIE BEI DER BEARBEITUNG DES STÜCKS BESONDERS HERVORHEBEN?  Da sich meine Bearbeitung an Jugendliche richtet, habe ich Recha und Kurt zu den Hauptpersonen gemacht. Beide stellen fest, dass die Erwachsenen nicht immer Recht haben und machen sich ihre eigenen Gedanken. Obwohl der Junge am Ende davon überzeugt ist, dass es keinen Gott gibt, glaubt das Mädchen sehr wohl an eine höhere Macht – aber diese unterschiedlichen Auffassungen hindert beide nicht daran, sich gegenseitig mit Respekt zu behandeln und vielleicht sogar ein Paar zu werden.

MUSS MAN LESSING MODERNISIEREN, UM IHN HEUTE NOCH AUFFÜHREN ZU KÖNNEN? Nein.

WIE WÜRDEN SIE DIE RINGPARABEL INTERPRETIEREN? Am Merkwürdigsten ist die kleine Einschränkung über die »geheimnisvolle Kraft des Ringes«. Der Ring besitzt die Kraft, »vor Mensch und Gott angenehm zu machen – aber nur, wenn man auch daran glaubt. Handelt es sich dann überhaupt noch um einen «Zauberring«? Persönlich finde ich die Parabel den am wenigsten interessanten Teil des Dramas, aber ich war erstaunt, dass Kinder diese Geschichte wirklich aufregend finden.

WELCHER CHARAKTER GEFÄLLT IHNEN PERSÖNLICH AM BESTEN?  Kurt, der Kreuzritter. Als Soldat ist er einer radikalen Gehirnwäsche unterzogen worden, aber lernt – zwar mühsam, aber immerhin – sein Gehirn wieder selbstständig zu benutzen. Er glaubt am Ende genauso wenig an irgendeinen Gott wie an den Mann im Mond und trotzdem werden er und die gläubige Recha ein Paar – das ist meine persönliche Utopie.

IST NATHAN ALS TITELHELD AUCH ZWANGSLÄUFIG DIE HAUPTPERSON?  Titelhelden sind nicht zwangläufig die Hauptpersonen – aber im Fall von »Nathan der Weise« schon. Durch ihn verändern sich alle Personen – zum Besseren. In meiner Bearbeitung ist Recha die Hauptperson, weil sie alle anderen dazu bringt, ihre Ansichten zu überprüfen. Sie erzählt auch die Ringparabel, weil Nathan nicht mehr weiterweiß.

INWIEFERN WAR IHNEN WICHTIG, LESSINGS SPRACHE IN ALLTAGSSPRACHE ZU ÜBERTRAGEN?  Die Zuschauer sollen die Szene auf Anhieb verstehen und nicht darüber grübeln, was dieser oder jener Satz wohl zu bedeuten hat. Aber Alltagssprache würde ich das nicht nennen – die Sprache ist immer noch fremd genug.

KÖNNEN SIE GRÜNDE NENNEN, WARUM »NATHANS KINDER« EIN STÜCK IST, DAS MAN UNBEDINGT GESEHEN HABEN MUSS?  Es gibt nichts, rein gar nichts, was man UNBEDINGT gesehen haben muss. Man MUSS gar nichts. Wirklich nichts. Aber ich freue mich über jeden einzelnen Zuschauer.